Zu wenig Vertrauen in die Pastoren?

Im Rahmen meiner Studie (André) über die Sexualität evangelikaler Jugendlicher in Frankreich mit der Universität Rouen (2023) habe ich mich unter anderem interessiert für die Frage: „An wen wenden sich Menschen, die Opfer von Vergewaltigung und/oder versuchter Vergewaltigung geworden sind?“

Zur Erinnerung: In unserer Studie gaben 18 % der weiblichen Teilnehmer unserer Studie an, bereits eine Vergewaltigung erlebt zu haben. Diese jungen Frauen sind in unseren Gemeinden.

Wir haben die verschiedenen Fachleute und Gruppen in vier Kategorien eingeteilt:

  1. Pastoren und Mitarbeiter in der Gemeinde
  2. juristische Fachkräfte (Polizei und Justizwesen)
  3. Fachleute aus dem Gesundheitswesen
  4. psychosoziale Fachkräfte

Die Gruppe der Polizisten und der Rechtsapparat genießen das geringste Vertrauen und dies in beiden Gruppen (Gruppe 1: weder Opfer von versuchter noch von vollzogener Vergewaltigung, Gruppe 2: die, die Opfer geworden sind). Als Gründe werden oft genannt:

  • Das bringt sowieso nichts.
  • Der Täter wird ohnehin nicht verurteilt und wenn, dann zu geringen Strafen.
  • Die Polizei nimmt mich ja doch nicht ernst.

Die anderen drei Gruppen haben einen recht hohen Vertrauensindex, solange die Person keine versuchte oder vollzogene Vergewaltigung erlebt hat.

Was auffällt: Das Vertrauen in die Pastoren und Gemeindemitarbeiter sinkt stark, wenn jemand eine solche Situation erlebt hat. Dies gibt Anlass zum Nachdenken. Gesicherte Erkenntnisse über die genauen Ursachen dieses Vertrauenssturzes lässt die Studie nicht zu.

Es lassen sich jedoch mehrere Hypothesen aufstellen:

  • Die pastorale Ausbildung vermittelt nicht die notwendigen Fähigkeiten, um Opfer sexueller Gewalt aufzufangen und zu begleiten.
  • Die Opfer haben das Gefühl, dass ihr Trauma nicht anerkannt (kleingeredet, vom Tisch gewischt) wird.
  • Die Opfer glauben nicht, dass die Seelsorge ihnen helfen kann, das Erlebte zu verarbeiten.

In unserer Arbeit begleiten wir jede Woche zahlreiche Opfer sexueller Gewalt. In den Gemeinden werden diese Themen so gut wie gar nicht aufgegriffen; Opfer haben oft den Eindruck, dass man den Tätern eher Glauben schenkt als ihnen.

Wir werden unsere Forschungsarbeit fortsetzen, weil wir diesen Vertrauensverlust der Jugendlichen in unseren Gemeinden verstehen wollen, damit wir den Gemeinden etwas in die Hand geben können, um es besser zu machen. Gemeinde muss ein Schutzraum sein. Auch das gehört zu Missionsarbeit, damit das Evangelium überhaupt glaubhaft sein kann.

Nach der Studie zur Sexualaufklärung ist dies ist die zweite laufende Untersuchung.

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Update
Bei seinen Neujahrswünschen Ende Januar diesen Jahres (2025) an die Presse und die Behörden in Paris hatte der Pastor Christian KRIEGER, Präsident der Evangelischen Allianz, die Veröffentlichung eines Buches angekündigt, an dem Myriam und ich als Co-Autoren stark beigetragen haben.
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