„Epa fot mwen“ – Das ist nicht meine Schuld!

Sätze wie „Der Schlaf hat mich übermannt“ oder „Die Zeit ging zu schnell vorüber“ sind in Haiti anerkannte Entschuldigungen dafür, warum man etwas nicht rechtzeitig oder im ursprünglichen Sinn ausführen konnte. Auch Dinge wie Kugelschreiber können hier „einfach so“ verschwinden, ohne dass sich jemand dafür verantwortlich fühlt. Wenn ich in einer solchen Situation meinen deutschen Gerechtigkeitssinn offenbaren und die eigene Schuld ansprechen würde, würde sich mein haitianisches Gegenüber kontrolliert und ungerecht behandelt fühlen.
Umgang mit Konflikten
Haitianische Kinder zeigen ihre Wut, indem sie ihre beiden kleinen Finger miteinander einhaken. Nach einiger Zeit erklären sie, dass alles wieder gut ist, indem sie nun ihre Zeigefinger miteinander einhaken. Allgemein spricht man hier die Dinge nach einem Konflikt nicht nochmal an. Offen und ausführlich über einen Streit zu sprechen, sodass beide Personen wieder im inneren Frieden miteinander leben oder einen beide Parteien guten Kompromiss finden können, ist eher selten der Fall.
Vor dem Hintergrund des hier verbreiteten Voodoo-Kults haben viele Haitianer tiefe Angst, etwas falsch zu machen und am Ende dafür „zahlen“ zu müssen, indem sie beispielsweise mit einem Fluch belegt werden, der die Gesundheit, die Familie oder den Arbeitsplatz zerstört. Daher versucht man möglichst zu jedem freundlich zu sein, auch wenn es hinter der Fassade anders aussieht.
Als ich einer haitianischen Frau gegenüber einmal wirklich falsch reagiert hatte und sie um Vergebung bat, meinte sie nur: „Da war doch nichts.“ Ich hätte mir jedoch
erhofft zu hören, dass sie mir vergibt, wir darüber reden und neu anfangen können.
Gott vergibt
Es fällt mir hier häufig schwer, von Gottes fürsorglicher Vergebungsbereitschaft zu erzählen. Ich habe selten das Gefühl, dass es wirklich ankommt: dass man vor Gott alles auspacken darf, er zuhört und einen anschließend immer noch annimmt und liebt und bis aufs Letzte vergibt.
Da ich persönlich noch keine Lösung für dieses interkulturelle Dilemma gefunden habe, versuche ich vorzuleben, dass ich mir bewusst bin, Fehler zu machen, und mich dann auch dafür entschuldige.