„Casayohana ist meine Familie“
Bine erzählt von Noe
Seit einem Unfall vor ca. 8 Jahren zieht Noe (12) das linke Bein nach, die Gelenke sind versteift, die Knochen wachsen nicht richtig. Da er weit weg von Andahuaylas wohnt, bekam er eine dreimonatige Intensivbehandlung. Dafür durfte er bei Hermana (Schwester) Isabella wohnen. Er war gerne dort; aber es gab auch Konflikte: Noe hatte einfach keine Lust, sich an die Regeln zu halten oder seine Aufgaben zu erledigen.
Also hatte ich die Ehre, ein ernstes Gespräch mit ihm zu führen. Er hörte zu, gestand seine Irrtümer ein und gelobte Besserung. Im Anschluss erledigte ich gleich noch seinen „TÜV“ – die körperliche Untersuchung. Als ich Noe zum Reflexe-Testen auf die Liege bat, fiel sein Blick auf eine Reihe bunter Bücher im Regal darüber. „Was ist das?“, fragte er mit neugierigen Augen. „Das sind Jugendbibeln.“ – „Darf ich eine haben?“ – „Aber da ist ganz viel Text und es gibt kaum Bilder“, gab ich zu bedenken. „Aber ich kann doch schon lesen – richtig gut“, widersprach er und strahlte übers ganze Gesicht: „Dann kann ich darin lesen, wie Gott mich liebt. Er tut mir ja so viel Gutes und außerdem darf ich in casayohana sein.“ Wir holten eine herunter. Voller Vorfreude fragte er mich: „Mama, kannst du mir noch mal zeigen, wo ich lesen kann, dass Gott mich liebt?“ Also saßen wir gemeinsam auf der Liege und schlugen Johannes 3,16 auf. Noe las laut: „Denn Gott hat die Menschen so sehr geliebt …“
Helene erzählt von Melina
Melina (6) kommt aus einem Zuhause, wo sie stark vernachlässigt wurde und viel Gewalt erlebte.
In unserem Förderprogramm gibt es immer eine kleine Essenspause. Melina und ich saßen am Tisch und unterhielten uns fröhlich. Plötzlich wurde ihr Gesichtsausdruck ernst: „Helene ist hässlich.“ Erst war ich perplex. Sicher hatte sie das Zuhause gehört, sie hat wirklich kein liebevolles Daheim. Mich trafen ihre Worte, aber ich drehte mich zu ihr um und erklärte: „Das darfst du nicht sagen, denn Gott hat uns geschaffen. In der Bibel steht, dass Gott mich so geschaffen hat, wie es ihm gefällt. Er findet mich schön. Auch dich findet Gott schön. Er findet, dass diese Augen, dieser Mund und auch diese Haare gut zu dir passen. Er schaut dich gern an und denkt: ‚Wow, die Melina hab ich richtig schön gemacht.‘ Er hat außerdem einen Plan für dein Leben. Er weiß, warum er dich so gemacht hat. Du darfst nie zu einem Menschen sagen, dass er hässlich ist, denn Gott hat ihn so gemacht.“ Melina schwieg, dachte nach und blieb noch eine ganze Weile ernst.
Am nächsten Tag saßen wir in der Pause erneut zusammen. Plötzlich schaute sie mich an, lächelte und nahm mein Gesicht in ihre Hände: „Helene ist schön.“ Ich musste lächeln. „Auch Melina ist schön, weil Gott sie geschaffen hat“, ergänzte ich.
Nelli erzählt von Lyam
Lyam (8 Jahre) hat eine psychisch auffällige Mutter, leidet zu Hause unter starker Vernachlässigung und erlebt sowohl in seiner Familie als auch in der Schule viel Mobbing.
Als Lyam zu mir in die Logopädie kam, spürte ich sofort, dass irgend-etwas nicht stimmte. „Hallo Lyam, wie geht’s? Was ist passiert?“, begrüßte ich ihn. Er kletterte auf seinen Stuhl und schaute mich ernst an: „Ich bin voll sauer.“ Gedanklich schob ich die Therapieinhalte auf die Seite und fragte: „Magst du erzählen? Warum bist du sauer?“ Sein Gesicht war ganz verkniffen. Er erzählte von seinen Schulkonflikten, von der schwierigen Situation zu Hause, von Dingen, die ihm Angst machen, davon, dass er sich oft allein und unverstanden fühlt. Trotz all des Schlimmen, das er erzählte, war ich froh über seine Offenheit. Ich wusste, dass er sich nicht traute, alles zu erzählen; seine Mutter schärft ihm immer wieder ein, in casayohana ja nichts zu erzählen. Ich freute mich über seinen Mut, sich zu öffnen. Wir redeten darüber, was hilft, wenn er Angst hat. Wir sprachen über Jesus, der immer zuverlässig da ist, uns hört und auch selber ungerecht behandelt wurde. „Und weißt du, Lyam, hier in casayohana haben wir dich alle lieb. Du darfst hier über diese Dinge reden, wenn du möchtest.“ – „Das weiß ich, Nelli“, antwortet er mir. „Auch Bine hört mir immer zu. In casayohana kann ich zur Ruhe kommen.“
Wenn nicht er, wer dann?
Wir alle begleiten die Kinder von casayohana in unseren Berufen – ob Vorschule, Logopädie, Pflege oder Seelsorge: Wir lieben es, durch unser Fachwissen helfen zu können. Eine ganz besondere Freude ist es uns aber, wenn wir sie auf ihrem Weg zu Gott begleiten können. Es ist so gut, wenn ihr Vertrauen zu ihm wächst und sie in ihm Frieden finden!