Auf dem Prüfstand
Wer hätte noch vor einem Jahr daran gedacht, dass (nicht nur) unsere Gemeinde vor enormen Herausforderungen steht?
Drei Monate ohne Gottesdienst in der Gemeinde: Klar, wie alle andern auch haben sich sofort junge Leute schnell und kompetent um Video-Live-Übertragungen gekümmert. Genial! Familien berichten uns von Familiengottesdiensten in den eigenen vier Wänden, die auch wir als sehr angenehm empfanden. Es hat gerade uns in dem sonst so hektischen Alltag einander nähergebracht.
Die Wochen vergingen. Der Sommer kam und mit ihm die ersten Gottesdienste mit maskierten Geschwistern und 40 % weniger Besuchern. In unserem facettenreichen Dienst hören wir viel. Die Anfragen für Therapien sind in die Höhe geschnellt, auch bei Gläubigen, die uns von Einsamkeit berichten, davon, dass sie in drei Monaten nur ein oder zwei Anrufe bekamen.
Und auch in unserer Gemeinde spürte ich, dass es da echte Mankos gab. Geplatzte Reisedienste für mich, Funkstille bei manchen. Auf der einen Seite sind gesunde Familien
einander näher gerückt dank Internet. Bei anderen Familien und Paaren war es der Anfang vom Ende. Die soziale Isolierung, bedingt durch Lockdown, Maske und Mindestabstand, bringt meiner Meinung nach große Schwächen zum Vorschein.
Das stimmt mich nachdenklich. Sind unsere Gemeinden durch den jahrelangen Gemeindeaktivismus blind geworden für den Bruder und die Schwester, die im Gottesdienst sonst immer vor oder neben mir sitzt? Haben wir den Menschen nur auf sein Entwicklungspotenzial für die Gemeinde beschränkt? Interessieren wir uns noch für den Nächsten?
Jedes Mal, wenn ich das Telefon in die Hand nehme und jemanden anrufe, höre ich heraus, wie Menschen, die sonst stark und fest wirken, die in Verantwortung stehen – beruflich, familiär und geistlich –, von Gefühlen der Einsamkeit berichten.
Das stellt mich selbst infrage. Da bin ich gefragt. Und das ist das Herz unseres Dienstes.
Bitte betet doch, dass wir vor lauter Arbeitswut für den Herrn nicht blind werden für die Not des Nächsten.